Von Alexander Kissler, Kulturjournalist
7. April 2008
Den Schweizer Studenten Viktor Frankenstein hat es nie gegeben, und doch kennt ihn die ganze Welt. Mary Wollstonecraft Shelley ersann ihn 1818 für ihren Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus.“ Das fiktive Experiment verstört bis heute: Aus Leichenteilen bastelte Viktor Frankenstein einen künstlichen Menschen, lebens- und liebes- und hassensfähig. Als in diesem der Drang entstand nach Partnerschaft und Nachkommen, will der Schöpfer sein Geschöpf in die Schranken weisen, wird aber von diesem getötet. Ist anno 2008 der reale Frankenstein gefunden? Heißt er John Burn?
Besagter Humangenetiker leitet jenes Institut an der Universität Newcastle, das vergangene Woche vermeldete, es habe die Erbinformationen von Kuh und Mensch erfolgreich vermischt. Der nach drei Tagen abgetötete Embryo habe zu 99 Prozent aus menschlichem, zu einem Prozent aus tierischer DNA bestanden. Prompt zeigte die „Bild“-Zeitung die Fotomontage eines Menschen mit Rinderkopf und schnaubenden Nüstern. Sähe so das Lebewesen aus, das entstünde, wenn man den Embryo einer Frau implantierte und er wider alle Wahrscheinlichkeit bis zur Geburt heranwüchse?
John Burn beruhigt: Es könne keine Rede davon sein, dass die Wissenschaftler Monster schaffen. Wer sich mit der Problematik genauer beschäftige, erkenne rasch, dass sie kein neues ethisches Problem aufwirft. Es handele sich nur um einen Vorgang in der Petrischale, um einen „Zellhaufen, der sich nicht weiterentwickeln könnte.“ In der Tat ist das Ziel, aus den geklonten Embryos angeblich so wundertätige Stammzellen zu entnehmen, ohne für die Entstehung des Embryos zuvor auf menschliche weibliche Eizellen zurückgreifen zu müssen. Kühe sollen eine günstigere Trägermasse bereitstellen.
Von frankensteinschen Experimenten sprach dennoch der katholische Bischof von Schottland. Der deutsche Parlamentarier Hubert Hüppe (CDU) tat es ihm gleich. Weltweit überwiegen, auch auf wissenschaftlicher Seite, Unverständnis, Zorn, Empörung. Wie weit will eine offenbar enthemmte Wissenschaft noch gehen in ihrem Drang nach Innovation und Kommerz – so die bange Frage.
Viktor Frankenstein ist gleichwohl die falsche Assoziation. Der künstliche Mensch, ein Topos für „des Menschen Herrschsucht und Nützlichkeitsdenken“ (Elisabeth Frenzel), ist Burn herzlich egal. Er will, den Fakten zum Trotz, an einem anderen Mythos bauen: dem Mythos vom neuen Menschen, leidminimiert, stark und effektiv, dessen Gebresten in zu Ersatzteilfabriken gewordenen Laboren und Hospitälern besiegt werden sollen. Auf dem Weg zu dieser regressiven Utopie werden heute schon die Grenzen zwischen Mensch und Nicht-Mensch nivelliert. Das Gespür für das spezifisch Menschliche soll ein Relikt sein aus vergangenen, aus überwundenen Zeiten.
Ist es ein Zufall, dass die Gattungsgrenzen justament dann brüchig werden, wenn auch Politik und Wirtschaft und Kultur kaum mehr wissen, was eigentlich den Mensch zum Menschen macht, was seiner Würde entspricht, was diese grob und dauerhaft entstellt?
Quelle: www.alexander-kissler.de/10.0.html
Mit freundlicher Genehmigung des Autors